Pygmalion alias My Fair Lady von Bernard Shaw

Pygmalion alias My Fair Lady

Pygmalion ist das berühmteste Theaterstück des Literaturnobelpreisträgers George Bernard Shaw (26.07.1856 – 02.11.1950), uraufgeführt 1913. Die Idee für diese Komödie entlieh der Dramatiker der griechischen Mythologie. Der Bildhauer Pygmalion von Zypern erschuf eine weibliche Elfenbeinstatue, schließlich verliebte er sich in sie. Die Göttin der Liebe Venus beseelte Elfenbein und erweckt die Statue zum Leben, später wurde sie Galatea (aus dem Griechischen „ Milchweiße“) genannt. Pygmalion ist in der Shaw’s Version Henry Higgins, die milchweiße Galatea ist Eliza Doolittle. Mit Pygmalion ist Shaw ein wahrer Geniestreich gelungen, der sich als Kassenschlager erwiesen hat. „Pygmalion ist meine beständigste Einnahmequelle: Das Stück hat mich vor dem Ruin während des Krieges bewahrt und bringt weiterhin jede Woche eine beträchtliche Summe ein“, schrieb Shaw schon 1921.

Aber um was geht es in diesem Theaterstück und was wissen wir über die Haupthelden? Wir erzählen die wahre Geschichte.

Henry Higgins, der Pygmalion

Henry Higgins war ein vierzigjähriger Professor für Phonetik und Autor eines bekannten Buches „Higgins’ Universalalphabet“. Der ausgewiesene Experte für Dialekte konnte den Geburtsort jedes Mannes respektive jeder Frau innerhalb eines Radius von unter sechs Meilen erkennen, in London innerhalb eines Radius von zwei Meilen, manchmal innerhalb von zwei Straßen. Higgins verdiente sein Geld, indem er neureichen englischen Unternehmern und amerikanischen Millionärinnen beibrachte, wie man Englisch richtig spricht. Der gute Mann war also beruflich sehr erfolgreich und gut vernetzt, folglich genoss er national und international einen exzellenten Ruf. Er konnte sich viel leisten, und zwar in mehrstöckigem Haus im Zentrum von London zu wohnen, ein modern ausgerüstetes Sprachlabor in seinem Hause zu unterbringen und Homeoffice zu arbeiten. Zudem beschäftigte er eine Hausangestellte. Seine Mutter war auch vermögend, wohnte in einer mehrstöckigen Wohnung mit dem Blick auf die Themse, hatte ein Dienstmädchen. Über seinen Vater gibt es keine Angaben.

Im Umgang mit Frauen war Higgins kein Schürzenjäger: „Für mich sind meine weiblichen Unterrichtenden wie Holzklötze und ich bin selbst kalt wie ein Fisch.“ Er verliebte sich „niemals in jemanden unter fünfundvierzig“: „Ich stehe nicht auf jungen Frauen. Ich habe ein ganz festes Ideal von meiner Traumfrau: Sie muss dir (seiner Mutter) möglichst ähnlich sein.“

Summa summarum befand sich Higgins in dem freudig-bewegten Zustand, wenn man die ersehnten ideellen und materiellen Güter erlangt hat: Phonetik „ist mein Beruf und mein Hobby. Glücklich ist ein Mann, der von seinem Hobby leben kann!“

Eliza Doolittle, die Galatea

Eliza Doolittle war „achtzehn vielleicht zwanzig Jahre alt“. Beruflich war sie ein Blumenmädchen also eine Straßenverkäuferin, die am Covent Garden Markt Blumen kaufte und im Londoner Zentrum, vorwiegend auf der Covent Garden Piazza oder am Bahnhofplatz Tottenham Court Straße weiterverkaufte. Sie hatte weder angesagte Markenkleidung, noch benutze sie Kosmetikprodukte, wenngleich waren ihre Gesichtszüge genauso fein wie die Gesichtszüge der Damen, den sie Blumen verkaufte. Außerdem war sie gut geformt, fesch, ehrgeizig und ihres eigenen Wertes bewusst. Eliza war ein außereheliches Kind eines Müllmannes, seine Mutter war gestorben. Sie wohnte in einer kleinen Einzimmerwohnung.

Die Wette

Higgins traf Eliza zufällig auf der Covent Garden Piazza. Solange sie unter einem Kirchenportal Schutz vor dem Regen fanden, machte er unbemerkt Notizen von ihrem Cockney-Akzent sowie von Akzenten anderer Umstehenden. Da kam er mit Hauptmann a. D. Pickering ins Gespräch, der gerade aus Indien ankam, um Higgins kennenzulernen. Pickering interessierte sich hobbymäßig für Fremdsprachen, er hat ein Buch „Gesprochenes Sanskrit“ geschrieben. Higgins erzählte Pickering, dass er gegebenenfalls Eliza eine solche perfekte Aussprache beibringen könne, dass sie als Herzogin auf einer Gartenparty des Botschafters einer Großmacht empfangen wird. Eliza bekam von diesem Gespräch mit, dass Higgins ihr helfen könne, ihr Cockney in feine englische Sprache zu verwandeln, damit sie als Floristin arbeiten kann und wo er wohnt. Am nächsten Tag erschien sie unangemeldet bei ihm, um Unterrichtsstunde zu nehmen. Aus Spaß nahm Higgins die Herausforderung an und wettete mit Pickering, dass er in drei Monaten Eliza als Herzogin ausgibt.

Das Stichwort „aus Spaß“ ist entscheidend, denn Higgins’ Vita zeigt eindeutig, dass er keine Bestätigung seiner Professionalität von einem zufälligen Bekannten brauchte, sondern gegenteilig, wie es im Stück steht, die Verwandlung eines Blumenmädchens in eine Herzogin diskret halten wollte.

Higgins und Pickering übernahmen alle Ausgaben im Wert von umgerechnet mehrere Tausend Euro für Eliza: Sie wurde ins Higgins’ Haus einquartiert, bekam ein Zimmer mit Vollpension, modische Klamotten, Taschengeld und wurde von Higgins nach seiner patentierten Methode phonetisch unterrichtet.

Die Mission erfüllt

Professor Higgins erfüllte sein Versprechen. Auf der Gartenparty eines Botschafters sorgte Eliza mit ihrer Aussprache für Furore und wurde wie eine salonfähige Prinzessin gefeiert. Statt Bildhauerei führte Higgins eine Spracherziehung durch und verwandelte Eliza’s Cockney-Akzent in makelloses Englisch. Aber er hatte aus obengenannten Gründen nicht vor, sich in seine herrliche Schöpfung zu verlieben, geschweige zu heiraten. Warum sollte er? „Doch, doch. Er muss!“, mehrten sich die Stimmen der englischen Presse und beanspruchten für sich die Deutungshoheit über das Stück. „Es wäre sehr spannend gewesen, nach meinem Tod über meine musikalischen Vorlieben und Abneigungen zu erfahren, besonders deswegen, weil ich meine Meinung darüber sehr selten öffentlich geäußert“, scherzte russischer Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky.

Der Shitstorm

Nach der Uraufführung des Stücks brach ein Sturm los. Zahlreiche wichtigtuende Journalisten, Rezensenten und Literaturexperten, an deren Namen großenteils keiner mehr jetzt erinnert, entrüsteten sich routinemäßig über Bernard Shaw. Alle Sünden in Eine münden: Sein Higgins sei gefühlskalt, selbstherrlich, egozentrisch, versnobt, grobschlächtig und geltungssüchtig. Er triebe eine Bildung durch Dressur ohne die menschliche Achtung, betrachtete Eliza nicht als gleichwertig an, weigerte sich, sie als fühlendes Wesen zu behandeln, nahm Eliza als Person nicht wahr, ignorierte ihre menschlichen Bedürfnisse, indem er ihre Liebe nicht erwiderte. Tathandlungen, die zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führten, wurden prompt aufgelistet: Der Professor hat Eliza sozial entwurzelt und gedankenlos ihre Zukunft zerstört. In der Summe ist das Stück schwarzhumorig.

Wieso schlug die Empörungswelle Bernard Shaw entgegen  

Bernard Shaw war eine widersprüchliche Persönlichkeit. Er hatte ambivalente Einstellungen gegenüber Monarchie, der britischen Rolle im Ersten Weltkrieg, Trotzki, Lenin, Mussolini und Hitler. 1931 reiste er nach der Sowjetunion, feierte da sein 75-jähriges (!) Jubiläum und traf mit Stalin. Aber er rief weder nach einer Revolution, noch zu Gewalt auf. Seine politische Tätigkeit begrenzte sich an gesellschaftskritische Artikel und Engagement für die Fabianische Gesellschaft. Wie der Name verrät, war diese britische sozialistische intellektuelle Bewegung ganz harmlos. Der Name stammte von dem römischen General Fabius Maximus, der einen Spitznamen Verzögerer (auf Lateinisch Cunctator) hatte. Er befreite Rom von Hannibal ohne militärischen Eingriff durch bloßes Zuwarten. Dementsprechend wollten Fabianer auf dem Wege von Reformen und durch viele Zwischenschritte irgendwann in der Zukunft eine sozialistische Gesellschaft errichten.

Naturgemäß fand Bernard Shaw dank seiner Ambivalenz nicht nur Bewunderer, sondern auch Opposition. Die Letzteren versuchten, ihre Antipathie gegen Shaw zum Ausdruck zu bringen, indem sie ihn sowohl persönlich als auch indirekt mit unberechtigter Kritik an seine Theaterstücke angriffen. Nach dem Motto, wenn er so „schlecht“ ist, können seine Werke nicht gut sein. Der Aufschrei der Entrüstung hallt bis heute in der verschieden Artikeln, Enzyklopädien und Lexiken.

Entstehung der Fakes News

„I have been kicking my heels here for months faking news (!) for my people when there was no news”, offenbarte Shaw’s Antiheld, Journalist von Beruf, in Geneva, uraufgeführt 1929. 

Zeitungsschreiber verbreiteten Fakes News über Pygmalion und seinen Autor, selbst wenn sie gleichzeitig dialektische Theorien ihrer Zeitgenossen priesen. Zur Erinnerung: In seinem 1896 erschienenen Buch „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ urteilte deutscher Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Friedrich Engels, dass die Abtrennung der Menschen von ihren affenähnlichen Vorfahren mit Weiterentwicklung des Kehlkopfs und Entstehung der Sprache zusammenhängt. Darum seien Sprachübungen und gemeinsame Arbeit für geistliche Entwicklung der Menschen entscheidend. 1894 und 1895 erschienen zwei Dschungelbücher des britischen Autors Rudyard Kipling über Maugli. Mehrere Erfahrungsberichte über Kinder und Jugendlichen, die sich in Dschungel verloren haben und ohne Sprache unterentwickelt zurückkamen, waren in aller Munde. Das Sprachenlernen fördert also die Kreativität, erhöht die Gehirnleistung, steigert das Erinnerungsvermögen. Es wird übrigens genauso passieren, wenn man Bayerisch, Berlinisch oder Kölsch lernt.

Eliza hat sich nicht nur als Persönlichkeit weiterentwickelt, sondern auch in allen Aspekten von Higgins’ Einmischung in ihr Leben profitierte. Sie hat einen netten Mann geheiratet und eine stolze Besitzerin eines Blumenladens im Zentrum von London geworden. Was will man noch mehr?

Trotzdem ebnete die Empörungswelle gegen Higgins nicht ab. Wir nehmen schmunzelnd zur Kenntnis, dass einige Journalisten/innen, Literaturkritiker/innen und Theaterwissenschaftler/innen auch jetzt noch über Bernard Shaw empört bleiben. „Ein Genie auf seine Missdeutung zu reduzieren, ist ein typisches Charaktermerkmal eines beschränkten Menschen“, sinnierte Shaw’s Leidensgenosse Komponist Tschaikowsky.

Man kann nicht alles haben  

Na gut, Eliza träumte ab und zu davon, mit Higgins auf eine einsame Insel zu gelangen und sich auf gesellschaftliche Konventionen pfeifend vorzustellen, dass er Liebe wie jeder andere Mann macht. Aber liebe Leute, zwischen Fantasiebildern dieser Art, die wir alle manchmal haben, und einer konkreten Umsetzung legen des Öfteren die Welten, geschweige denn jede Fantasie muss nicht unbedingt umgesetzt werden. Nach Duden Wörterbuch ist Liebe eine auf starker körperlicher, geistiger, seelischer Anziehung beruhende Bindung an einen bestimmten Menschen, verbunden mit dem Wunsch nach Zusammensein und Hingabe. Higgins wollte mit Eliza und Hauptmann Pickering als drei Singles in einer Hausgemeinschaft zusammenleben. Er hat seinen Wunsch mit einer kleinen Korrektur umgesetzt: statt drei Singles in einer Hausgemeinschaft nur zwei Singles und Eliza mit ihrem Gatten Freddy. Letztendlich war es vorprogrammiert, dass es mit einer körperlichen, geistigen, seelischen Anziehung hundertprozentig nicht klappt wird: Es war gleich am Anfang des Theaterstücks handfest, dass er ein ewiger Junggeselle war.

Fazit: Im Einzelfall lohnt sich die Weiterbildung und führt zum Privatglück.

Siegeszug von Pygmalion

Die ersten Theateraufführungen von Pygmalion fanden im deutschsprachigen Raum statt:

16.10.1913 fand eine Weltpremiere im Wiener Hofburgtheater in der Regie von Hugo Thimig mit Lili Marberg und Max Paulsen in den Hauptrollen. Folglich erlebte das Bühnenstück 25 Vorstellungen.

01.11.1913 wurde Pygmalion im Lessingtheater in Berlin in der Regie von Victor Barnowsky mit Tilla Durieux und Albert Steinrück in den Hauptrollen aufgeführt. Es feierte mehr als 100 Vorstellungen.

23.11.1913 inszenierte Albert Steinrück das Stück am Residenztheater in München mit Albert Steinrück als Higgins und Helena Ritscher als Eliza. Es hatte 39 Vorstellungen.

Warum Bernard Shaw für Pygmalion Wien, Berlin und München vor London bevorzugte, erklärte er der britischen Zeitung The Observer: „Es ist zu einer Tradition der englischen Presse geworden, nach einer Uraufführung meines neuen Theaterstücks in die ganze Welt hinauszuposaunen, dass es kein Bühnenstück ist – dass es langweilig, blasphemisch, unpopulär und finanziell erfolglos ist. Die Nachrichten werden postwendend nach Berlin und Wien telegrafiert, mit dem Ergebnis, dass Intendanten dort gezwungen waren, Aufführungen zu verschieben. Deswegen haben die Intendanten mich gebeten, dass ich meine Bühnenstücke zuerst von ihnen aufführen lassen sollte. Ich bin dieser Bitte schließlich nachgekommen.“

Aus Pygmalion wurde My Fair Lady,  Film- und Musicaladaptionen

Die erste Filmversion Pygmalion war ein deutscher Spielfilm. Das Schauspiel wurde 1935 in der Regie von Erich Engel mit Jenny Jugo und Gustaf Gründgens in den Hauptrollen

Die zweite Filmversion Pygmalion war eine britische Verfilmung. Das Bühnenspiel wurde 1938 in der Regie von Anthony Asquith und Leslie Howard mit Leslie Howard und Wendy Hiller in den Hauptrollen verfilmt. George Bernard Shaw zusammen mit Cecil Lewis wurde 1939 für die Drehbuchadaption mit einem Oscar ausgezeichnet.

Die Musicaladaption unter den Namen My Fair Lady wurde mit Julie Andrews und Rex Harrison in den Hauptrollen 1956 in New York uraufgeführt. Das Musical My Fair Lady hatte ab 15.03.1956 bis 29.09.1962 insgesamt 2.717 Vorstellungen am Broadway.

1964 erschien eine amerikanische Musicalverfilmung My Fair Lady mit Audrey Hepburn und Rex Harrison in den Hauptrollen in der Regie von George Cukor.

Mehrere Millionen gedruckten Exemplare von Pygmalion wurden weltweit verkauft.

Hundertjährige Erfolgsgeschichte

Pygmalion ist ein Klassiker der Weltliteratur und Kassenmagnet. Das Meisterwerk hat mehrere Tausend Theatervorstellungen, zwei Filmadaption, eine Musicaladaption und eine Musicalverfilmung erfolgreich überstanden und Millionen Theaterbesucher, Zuschauer und Leser begeistert. Pygmalion- Kritik und Unterstellungen jeder Couleur, die wie Tsunamis und Taifune den Autor viele Jahre heimsuchte, haben sich insofern als Fake News entpuppt. Darauf freuen wir uns sehr und daher werden wir ihnen keine Beachtung mehr schenken, unabhängig davon wann und wer sie geäußert hat. Denn es steht fest, dass das Publikum dieser Welt das Meisterstück von Bernard Shaw sehr hoch schätzt.

Über diese Übersetzung

Bei dieser Übersetzung wurde der unerschöpfliche Reichtum der deutschen Sprache nicht außer Acht gelassen, die unter anderen durch individuelle, soziale oder regionale Abstufung gekennzeichnet ist. Da eine lokale Abstufung in Deutschland praktisch nicht vorkommt – die aber in Pygmalion der Fall ist – wurde bei Übertragung der Sprache von Eliza Doolittle und ihrem Vater auf regionale Sprachvarietäten der deutschen Standardsprache, nämlich Dialekte zurückgegriffen. Dementsprechend wurde von einer alternativen Lösung Abstand genommen, die wäre, dass die beiden kauderwelschen oder Sätze vorwiegend mit verschiedenen grammatikalischen Fehlern wie Konjugationsfehler, Verwechslung von Pronomina, Adjektiv statt Adverb, fehlende Kongruenz in Numerus oder Person, doppelte Verneinung, Kontraktionen und so weiter aussprechen.

Um zu verdeutlichen, dass englische Personennamen im Genitiv stehen, bekamen einen Apostroph nicht nur Eigennamen, deren Nominativform auf einen s-Laut wie z.B. Higgins’ endet (geschrieben: -s, -ss, -ß, -tz, -z, -x, -ce), sondern auch wurde der Apostroph vor der Genitiv-Singular-Endung anderer Vor- und Nachnamen (z.B. Eliza’s bzw. Shaw’s) gesetzt.