Zur Inszenierung werden zurzeit acht (8) Bühnenstücke angeboten
Pygmalion alias My Fair Lady
Pygmalion ist das berühmteste Theaterstück des Literaturnobelpreisträgers George Bernard Shaw (26.07.1856 – 02.11.1950), uraufgeführt 1913. Die Idee für diese Komödie entlieh der Dramatiker der griechischen Mythologie. Der Bildhauer Pygmalion von Zypern erschuf eine weibliche Elfenbeinstatue, schließlich verliebte er sich in sie. Die Göttin der Liebe Venus beseelte Elfenbein und erweckt die Statue zum Leben, später wurde sie Galatea (aus dem Griechischen „ Milchweiße“) genannt. Pygmalion ist in der Shaw’s Version Henry Higgins, die milchweiße Galatea ist Eliza Doolittle. Mit Pygmalion ist Shaw ein wahrer Geniestreich gelungen, der sich als Kassenschlager erwiesen hat. „Pygmalion ist meine beständigste Einnahmequelle: Das Stück hat mich vor dem Ruin während des Krieges bewahrt und bringt weiterhin jede Woche eine beträchtliche Summe ein“, schrieb Shaw schon 1921.
Aber um was geht es in diesem Theaterstück und was wissen wir über die Haupthelden? Wir erzählen die wahre Geschichte.
Henry Higgins, der Pygmalion
Henry Higgins war ein vierzigjähriger Professor für Phonetik und Autor eines bekannten Buches „Higgins’ Universalalphabet“. Der ausgewiesene Experte für Dialekte konnte den Geburtsort jedes Mannes respektive jeder Frau innerhalb eines Radius von unter sechs Meilen erkennen, in London innerhalb eines Radius von zwei Meilen, manchmal innerhalb von zwei Straßen. Higgins verdiente sein Geld, indem er neureichen englischen Unternehmern und amerikanischen Millionärinnen beibrachte, wie man Englisch richtig spricht. Der gute Mann war also beruflich sehr erfolgreich und gut vernetzt, folglich genoss er national und international einen exzellenten Ruf. Er konnte sich viel leisten, und zwar in mehrstöckigem Haus im Zentrum von London zu wohnen, ein modern ausgerüstetes Sprachlabor in seinem Hause zu unterbringen und Homeoffice zu arbeiten. Zudem beschäftigte er eine Hausangestellte. Seine Mutter war auch vermögend, wohnte in einer mehrstöckigen Wohnung mit dem Blick auf die Themse, hatte ein Dienstmädchen. Über seinen Vater gibt es keine Angaben.
Im Umgang mit Frauen war Higgins kein Schürzenjäger: „Für mich sind meine weiblichen Unterrichtenden wie Holzklötze und ich bin selbst kalt wie ein Fisch.“ Er verliebte sich „niemals in jemanden unter fünfundvierzig“: „Ich stehe nicht auf jungen Frauen. Ich habe ein ganz festes Ideal von meiner Traumfrau: Sie muss dir (seiner Mutter) möglichst ähnlich sein.“
Summa summarum befand sich Higgins in dem freudig-bewegten Zustand, wenn man die ersehnten ideellen und materiellen Güter erlangt hat: Phonetik „ist mein Beruf und mein Hobby. Glücklich ist ein Mann, der von seinem Hobby leben kann!“
Eliza Doolittle, die Galatea
Eliza Doolittle war „achtzehn vielleicht zwanzig Jahre alt“. Beruflich war sie ein Blumenmädchen also eine Straßenverkäuferin, die am Covent Garden Markt Blumen kaufte und im Londoner Zentrum, vorwiegend auf der Covent Garden Piazza oder am Bahnhofplatz Tottenham Court Straße weiterverkaufte. Sie hatte weder angesagte Markenkleidung, noch benutze sie Kosmetikprodukte, wenngleich waren ihre Gesichtszüge genauso fein wie die Gesichtszüge der Damen, den sie Blumen verkaufte. Außerdem war sie gut geformt, fesch, ehrgeizig und ihres eigenen Wertes bewusst. Eliza war ein außereheliches Kind eines Müllmannes, seine Mutter war gestorben. Sie wohnte in einer kleinen Einzimmerwohnung.
Die Wette
Higgins traf Eliza zufällig auf der Covent Garden Piazza. Solange sie unter einem Kirchenportal Schutz vor dem Regen fanden, machte er unbemerkt Notizen von ihrem Cockney-Akzent sowie von Akzenten anderer Umstehenden. Da kam er mit Hauptmann a. D. Pickering ins Gespräch, der gerade aus Indien ankam, um Higgins kennenzulernen. Pickering interessierte sich hobbymäßig für Fremdsprachen, er hat ein Buch „Gesprochenes Sanskrit“ geschrieben. Higgins erzählte Pickering, dass er gegebenenfalls Eliza eine solche perfekte Aussprache beibringen könne, dass sie als Herzogin auf einer Gartenparty des Botschafters einer Großmacht empfangen wird. Eliza bekam von diesem Gespräch mit, dass Higgins ihr helfen könne, ihr Cockney in feine englische Sprache zu verwandeln, damit sie als Floristin arbeiten kann und wo er wohnt. Am nächsten Tag erschien sie unangemeldet bei ihm, um Unterrichtsstunde zu nehmen. Aus Spaß nahm Higgins die Herausforderung an und wettete mit Pickering, dass er in drei Monaten Eliza als Herzogin ausgibt.
Das Stichwort „aus Spaß“ ist entscheidend, denn Higgins’ Vita zeigt eindeutig, dass er keine Bestätigung seiner Professionalität von einem zufälligen Bekannten brauchte, sondern gegenteilig, wie es im Stück steht, die Verwandlung eines Blumenmädchens in eine Herzogin diskret halten wollte.
Higgins und Pickering übernahmen alle Ausgaben im Wert von umgerechnet mehrere Tausend Euro für Eliza: Sie wurde ins Higgins’ Haus einquartiert, bekam ein Zimmer mit Vollpension, modische Klamotten, Taschengeld und wurde von Higgins nach seiner patentierten Methode phonetisch unterrichtet.
Die Mission erfüllt
Professor Higgins erfüllte sein Versprechen. Auf der Gartenparty eines Botschafters sorgte Eliza mit ihrer Aussprache für Furore und wurde wie eine salonfähige Prinzessin gefeiert. Statt Bildhauerei führte Higgins eine Spracherziehung durch und verwandelte Eliza’s Cockney-Akzent in makelloses Englisch. Aber er hatte aus obengenannten Gründen nicht vor, sich in seine herrliche Schöpfung zu verlieben, geschweige zu heiraten. Warum sollte er? „Doch, doch. Er muss!“, mehrten sich die Stimmen der englischen Presse und beanspruchten für sich die Deutungshoheit über das Stück. „Es wäre sehr spannend gewesen, nach meinem Tod über meine musikalischen Vorlieben und Abneigungen zu erfahren, besonders deswegen, weil ich meine Meinung darüber sehr selten öffentlich geäußert“, scherzte russischer Komponist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky.
Der Shitstorm
Nach der Uraufführung des Stücks brach ein Sturm los. Zahlreiche wichtigtuende Journalisten, Rezensenten und Literaturexperten, an deren Namen großenteils keiner mehr jetzt erinnert, entrüsteten sich routinemäßig über Bernard Shaw. Alle Sünden in Eine münden: Sein Higgins sei gefühlskalt, selbstherrlich, egozentrisch, versnobt, grobschlächtig und geltungssüchtig. Er triebe eine Bildung durch Dressur ohne die menschliche Achtung, betrachtete Eliza nicht als gleichwertig an, weigerte sich, sie als fühlendes Wesen zu behandeln, nahm Eliza als Person nicht wahr, ignorierte ihre menschlichen Bedürfnisse, indem er ihre Liebe nicht erwiderte. Tathandlungen, die zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führten, wurden prompt aufgelistet: Der Professor hat Eliza sozial entwurzelt und gedankenlos ihre Zukunft zerstört. In der Summe ist das Stück schwarzhumorig.
Wieso schlug die Empörungswelle Bernard Shaw entgegen
Bernard Shaw war eine widersprüchliche Persönlichkeit. Er hatte ambivalente Einstellungen gegenüber Monarchie, der britischen Rolle im Ersten Weltkrieg, Trotzki, Lenin, Mussolini und Hitler. 1931 reiste er nach der Sowjetunion, feierte da sein 75-jähriges (!) Jubiläum und traf mit Stalin. Aber er rief weder nach einer Revolution, noch zu Gewalt auf. Seine politische Tätigkeit begrenzte sich an gesellschaftskritische Artikel und Engagement für die Fabianische Gesellschaft. Wie der Name verrät, war diese britische sozialistische intellektuelle Bewegung ganz harmlos. Der Name stammte von dem römischen General Fabius Maximus, der einen Spitznamen Verzögerer (auf Lateinisch Cunctator) hatte. Er befreite Rom von Hannibal ohne militärischen Eingriff durch bloßes Zuwarten. Dementsprechend wollten Fabianer auf dem Wege von Reformen und durch viele Zwischenschritte irgendwann in der Zukunft eine sozialistische Gesellschaft errichten.
Naturgemäß fand Bernard Shaw dank seiner Ambivalenz nicht nur Bewunderer, sondern auch Opposition. Die Letzteren versuchten, ihre Antipathie gegen Shaw zum Ausdruck zu bringen, indem sie ihn sowohl persönlich als auch indirekt mit unberechtigter Kritik an seine Theaterstücke angriffen. Nach dem Motto, wenn er so „schlecht“ ist, können seine Werke nicht gut sein. Der Aufschrei der Entrüstung hallt bis heute in der verschieden Artikeln, Enzyklopädien und Lexiken.
Entstehung der Fakes News
„I have been kicking my heels here for months faking news (!) for my people when there was no news”, offenbarte Shaw’s Antiheld, Journalist von Beruf, in Geneva, uraufgeführt 1929.
Zeitungsschreiber verbreiteten Fakes News über Pygmalion und seinen Autor, selbst wenn sie gleichzeitig dialektische Theorien ihrer Zeitgenossen priesen. Zur Erinnerung: In seinem 1896 erschienenen Buch „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ urteilte deutscher Philosoph und Gesellschaftstheoretiker Friedrich Engels, dass die Abtrennung der Menschen von ihren affenähnlichen Vorfahren mit Weiterentwicklung des Kehlkopfs und Entstehung der Sprache zusammenhängt. Darum seien Sprachübungen und gemeinsame Arbeit für geistliche Entwicklung der Menschen entscheidend. 1894 und 1895 erschienen zwei Dschungelbücher des britischen Autors Rudyard Kipling über Maugli. Mehrere Erfahrungsberichte über Kinder und Jugendlichen, die sich in Dschungel verloren haben und ohne Sprache unterentwickelt zurückkamen, waren in aller Munde. Das Sprachenlernen fördert also die Kreativität, erhöht die Gehirnleistung, steigert das Erinnerungsvermögen. Es wird übrigens genauso passieren, wenn man Bayerisch, Berlinisch oder Kölsch lernt.
Eliza hat sich nicht nur als Persönlichkeit weiterentwickelt, sondern auch in allen Aspekten von Higgins’ Einmischung in ihr Leben profitierte. Sie hat einen netten Mann geheiratet und eine stolze Besitzerin eines Blumenladens im Zentrum von London geworden. Was will man noch mehr?
Trotzdem ebnete die Empörungswelle gegen Higgins nicht ab. Wir nehmen schmunzelnd zur Kenntnis, dass einige Journalisten/innen, Literaturkritiker/innen und Theaterwissenschaftler/innen auch jetzt noch über Bernard Shaw empört bleiben. „Ein Genie auf seine Missdeutung zu reduzieren, ist ein typisches Charaktermerkmal eines beschränkten Menschen“, sinnierte Shaw’s Leidensgenosse Komponist Tschaikowsky.
Man kann nicht alles haben
Na gut, Eliza träumte ab und zu davon, mit Higgins auf eine einsame Insel zu gelangen und sich auf gesellschaftliche Konventionen pfeifend vorzustellen, dass er Liebe wie jeder andere Mann macht. Aber liebe Leute, zwischen Fantasiebildern dieser Art, die wir alle manchmal haben, und einer konkreten Umsetzung legen des Öfteren die Welten, geschweige denn jede Fantasie muss nicht unbedingt umgesetzt werden. Nach Duden Wörterbuch ist Liebe eine auf starker körperlicher, geistiger, seelischer Anziehung beruhende Bindung an einen bestimmten Menschen, verbunden mit dem Wunsch nach Zusammensein und Hingabe. Higgins wollte mit Eliza und Hauptmann Pickering als drei Singles in einer Hausgemeinschaft zusammenleben. Er hat seinen Wunsch mit einer kleinen Korrektur umgesetzt: statt drei Singles in einer Hausgemeinschaft nur zwei Singles und Eliza mit ihrem Gatten Freddy. Letztendlich war es vorprogrammiert, dass es mit einer körperlichen, geistigen, seelischen Anziehung hundertprozentig nicht klappt wird: Es war gleich am Anfang des Theaterstücks handfest, dass er ein ewiger Junggeselle war.
Fazit: Im Einzelfall lohnt sich die Weiterbildung und führt zum Privatglück.
Siegeszug von Pygmalion
Die ersten Theateraufführungen von Pygmalion fanden im deutschsprachigen Raum statt:
- 10.1913 fand eine Weltpremiere im Wiener Hofburgtheater in der Regie von Hugo Thimig mit Lili Marberg und Max Paulsen in den Hauptrollen. Folglich erlebte das Bühnenstück 25 Vorstellungen.
- 11.1913 wurde Pygmalion im Lessingtheater in Berlin in der Regie von Victor Barnowsky mit Tilla Durieux und Albert Steinrück in den Hauptrollen aufgeführt. Es feierte mehr als 100 Vorstellungen.
- 11.1913 inszenierte Albert Steinrück das Stück am Residenztheater in München mit Albert Steinrück als Higgins und Helena Ritscher als Eliza. Es hatte 39 Vorstellungen.
Warum Bernard Shaw für Pygmalion Wien, Berlin und München vor London bevorzugte, erklärte er der britischen Zeitung The Observer: „Es ist zu einer Tradition der englischen Presse geworden, nach einer Uraufführung meines neuen Theaterstücks in die ganze Welt hinauszuposaunen, dass es kein Bühnenstück ist – dass es langweilig, blasphemisch, unpopulär und finanziell erfolglos ist. Die Nachrichten werden postwendend nach Berlin und Wien telegrafiert, mit dem Ergebnis, dass Intendanten dort gezwungen waren, Aufführungen zu verschieben. Deswegen haben die Intendanten mich gebeten, dass ich meine Bühnenstücke zuerst von ihnen aufführen lassen sollte. Ich bin dieser Bitte schließlich nachgekommen.“
Aus Pygmalion wurde My Fair Lady, Film- und Musicaladaptionen
- Die erste Filmversion Pygmalion war ein deutscher Spielfilm. Das Schauspiel wurde 1935 in der Regie von Erich Engel mit Jenny Jugo und Gustaf Gründgens in den Hauptrollen
- Die zweite Filmversion Pygmalion war eine britische Verfilmung. Das Bühnenspiel wurde 1938 in der Regie von Anthony Asquith und Leslie Howard mit Leslie Howard und Wendy Hiller in den Hauptrollen verfilmt. George Bernard Shaw zusammen mit Cecil Lewis wurde 1939 für die Drehbuchadaption mit einem Oscar ausgezeichnet.
- Die Musicaladaption unter den Namen My Fair Lady wurde mit Julie Andrews und Rex Harrison in den Hauptrollen 1956 in New York uraufgeführt. Das Musical My Fair Lady hatte ab 15.03.1956 bis 29.09.1962 insgesamt 2.717 Vorstellungen am Broadway.
- 1964 erschien eine amerikanische Musicalverfilmung My Fair Lady mit Audrey Hepburn und Rex Harrison in den Hauptrollen in der Regie von George Cukor.
Mehrere Millionen gedruckten Exemplare von Pygmalion wurden weltweit verkauft.
Hundertjährige Erfolgsgeschichte
Pygmalion ist ein Klassiker der Weltliteratur und Kassenmagnet. Das Meisterwerk hat mehrere Tausend Theatervorstellungen, zwei Filmadaption, eine Musicaladaption und eine Musicalverfilmung erfolgreich überstanden und Millionen Theaterbesucher, Zuschauer und Leser begeistert. Pygmalion- Kritik und Unterstellungen jeder Couleur, die wie Tsunamis und Taifune den Autor viele Jahre heimsuchte, haben sich insofern als Fake News entpuppt. Darauf freuen wir uns sehr und daher werden wir ihnen keine Beachtung mehr schenken, unabhängig davon wann und wer sie geäußert hat. Denn es steht fest, dass das Publikum dieser Welt das Meisterstück von Bernard Shaw sehr hoch schätzt.
Über diese Übersetzung
Bei dieser Übersetzung wurde der unerschöpfliche Reichtum der deutschen Sprache nicht außer Acht gelassen, die unter anderen durch individuelle, soziale oder regionale Abstufung gekennzeichnet ist. Da eine lokale Abstufung in Deutschland praktisch nicht vorkommt – die aber in Pygmalion der Fall ist – wurde bei Übertragung der Sprache von Eliza Doolittle und ihrem Vater auf regionale Sprachvarietäten der deutschen Standardsprache sprich Dialekte zurückgegriffen. Dementsprechend wurde von einer alternativen Lösung Abstand genommen, die wäre, dass die beiden kauderwelschen oder Sätze vorwiegend mit verschiedenen grammatikalischen Fehlern wie Konjugationsfehler, Verwechslung von Pronomina, Adjektiv statt Adverb, fehlende Kongruenz in Numerus oder Person, doppelte Verneinung, Kontraktionen und so weiter aussprechen.
Um zu verdeutlichen, dass englische Personennamen im Genitiv stehen, bekamen den Apostroph nicht nur Eigennamen, deren Nominativform auf einen s-Laut wie z.B. Higgins’ endet (geschrieben: -s, -ss, -ß, -tz, -z, -x, -ce), sondern auch wurde der Apostroph vor der Genitiv-Singular-Endung anderer Vor- und Nachnamen (z.B. Eliza’s bzw. Shaw’s) gesetzt.
Majorin Barbara
Bernard Shaw ist tot – seine Bühnenstücke leben fort
1909 schrieb englischer Schriftsteller und Journalist Gilbert Keith Chesterton über Majorin Barbara: „ Fast jedes Bühnenstück von Shaw ist ein erweitertes Epigramm. Aber das Epigramm wird (wie bei den meisten Menschen der Fall ist) nicht auf Hundert Gemeinplätze erweitert. Vielmehr wird das Epigramm auf Hundert anderer Epigramme erweitert. Diese Erweiterung ist in allen Einzelheiten genauso brillant wie im Design. Aber es ist prinzipiell jedoch möglich, das ursprüngliche und zentrale Epigramm zu entdecken, das das Zentrum und den Zweck des Stücks darstellt. Auch unter blendenden Schmuckstücken Millionen Witzen ist es prinzipiell möglich, den schärfsten Spott und den tiefsten Sinn zu entdecken, weshalb das Stück geschrieben wurde.“
Darum greifen Fake News Majorin Barbara und Dramatiker Shaw an
Sogar wenn Entdeckungsgeist vorhanden ist, scheitert seine Ausführung oft an der menschlichen Schwäche. Nach dem bekannten Glockenton beginnt der Speichel dem Pawlowschen Hund zu fließen. Lesen wir manche Beurteilungen künstlerischer Leistungen von Bernard Shaw, entsteht oft der Eindruck, dass sein Name bei manchen Chesterton’s Berufskollegen auch eine bedingte Reaktion auslöst. Es wird reflexartig suggeriert: Irgendwas stimmt nicht mit dem Literaturnobelpreisträger und seinen Bühnenstücken. Die Liste ist lang und langweilig. Zur Erinnerung: Majorin Barbara ist wohl eines der wenigsten Theaterstücke überhaupt, das fragwürdige Rüstungsgeschäfte im Visier hat, und zwar seit seiner Uraufführung 1905. Trotzdem wiederholt sich immer wieder das gleiche Verhaltensmuster: Fake News greifen Majorin Barbara und Dramatiker Shaw an, weil ihre Verfasser lustlos sind und nicht die Eier haben, um gegen Waffenexporte Stellung zu beziehen. Der Dramatiker kann sich nicht gegen Fake News wehren, weil er 1950 verstarb. Trotz aller Widrigkeiten lassen denkende Menschen sich weder suggerieren noch bevormunden, da sie erkennen, dass Shaw über Probleme schrieb und Fragen stellte, die nach einem Jahrhundert großenteils immer noch ungelöst und unbeantwortet sind. Also, wenn der Name Shaw fällt, suchen wir nach den Antworten: Wieso hat sich nicht viel geändert? Ist es fair, George Bernard Shaw dafür verantwortlich zu machen und wie in der griechischen Mythologie dem Überbringer schlechter Nachrichten und Fragesteller den schwarzen Peter zuzuschieben? Was ist mit unseren Zeitgenossen? Sind sie weiter? Sind sie über Majorin Barbara eigentlich hinaus?
Eine nette Familie
Eine nette englische Familie – ihre Staatsangehörigkeit könnte austauschbar sein – genoss das Leben in einem mehrstöckigen Haus im Londoner Zentrum. Fünfzigjährige, alleinerziehende, adelige Lady Britomart Undershaft hat drei Kinder: Stephan, Barbara und Sarah. Eines Tages lud die Mutter ihren bürgerlichen Ex Andrew ein. Wegen Streitigkeit moralischer Natur lebten sie getrennt. Andrew Undershaft hat seine Familie seit mehreren Jahren nicht gesehen. Er war beruflich ein Waffenfabrikant und unterhaltspflichtig, zumal er der einzige Erwerbstätige war. Seine Kinder erlangten die Ehemündigkeit, fortan fanden die Töchter heiratswilligen Männer. Aber weil ihre Verlobten Adolphus Cusins respektive Charles Lomax nicht flüssig waren, brauchten Barbara und Sarah Geld für ihre eigenen Häuser und sonstige Bedürfnisse. Das war Mutti’s Businessplan und der Grund für die Einladung.
Vater, der Waffenhändler
Der vorsorgliche Vater freute sich auf das Wiedersehen und erklärte sich netterweise bereit, das nötige Geld zuzuschießen. Kriegswaffen herzustellen und zu verkaufen, war anscheinend ein lukratives Geschäft. Sein Familienunternehmen existierte schon in der achten Generation. Andrew Undershaft hielt nicht viel von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik. Gegenteilig war seine flexible Vertriebspolitik der Bestandteil des Erfolges. Sie bestand darin, keine Rücksicht weder auf Persönlichkeit der potenziellen Käufer noch auf ihre Prinzipien zu nehmen und hergestellte Rüstungsgüter an alle, zu allen Zahlungs- und Lieferungsbedingungen, abzusetzen, die einen guten Preis anbieten. Er verkaufte seine Waffen sowohl für eine gerechte Sache als auch für eine schwere Straftat, und zwar an Aristokraten und Republikaner, an Nihilisten und den Zaren, an Kapitalisten und Sozialisten, an Protestanten und Katholiken, an Einbrecher und Polizisten, an Schwarzen, Weißen und Gelben; an Personen aller Nationalitäten, aller Glaubensrichtungen, aller Verrücktheiten.
Ein Tochter, die Heilsarmee Majorin
Der Waffenhändler war nicht besonders religiös: „Ich bin ein Millionär. Das ist meine Religion, liebe Tochter.“ Trotzdem kam er mit Barbara nahe, die eine Heilsarmee-Mitarbeiterin war. Die Heilsarmee ist eine militärisch strukturierte Freikirche mit dem Schwerpunkt Sozialarbeit und christliche Verkündigung. Effizient und effektiv bekehrte Barbara viele Menschen zu einer Sinnesänderung und zum Christentum, folglich wurde ihre Arbeit sehr geschätzt. Sie bekam nach einer kurzen Zeit ausnahmsweise einen Offiziersrang Majorin, den man in der Heilsarmee gemäß den Regelungen nur nach 20 Dienstjahren bekommen darf. Feuer und Flamme für Heilsarmee, wurde Barbara von ihrem Vater mit seiner Spendenaffäre im übertragenen Sinne geköpft: Nachdem ihre Leitung große Geldspenden von dem Waffenhändler und einem Whiskyhersteller angenommen hat, sah sie sich gezwungen, freiwillig zurückzutreten. Eine edle Seele war offen mit ihrem Vater: „An Ihren Händen klebt ein böses Blut und nur ein gutes Blut kann sie reinwaschen. Das Geld nützt nichts.“
Die andere Tochter, die Heilige
Wie die Leidensgeschichte Majorin Barbara’s religiöser Prototyp zeigt, ist die Vater-Tochter-Bezie- hung für das Leben und Tod einer jungen Frau häufig prägend. Die frühchristliche Nothelferin Barbara von Nikomedien wurde der Überlieferung zufolge von ihrem Vater Dioscuros, einem reichen Kaufmann, im wahrsten Sinne enthauptet, weil sie sich zum Christentum bekehrte. Barbara starb den Märtyrertod. Am 4. Dezember, dem Barbaratag gedenken wir der Märtyrerin, Heilige und Schutzpatronin.
Das Happy End
Andrew Undershaft plante die Unternehmensübergabe aus Altersgründen. Traditionelle Nachfolgeregelung sah vor, dass er seine Waffenfabriken nur an einen Findling übergeben durfte. Deswegen konnte (auch wollte) der Waffenfabrikant nicht seinen leiblichen Sohn zu seinem Erben einsetzen. Dadurch war seine Ex-Frau Lady Britomart Undershaft über die Maßen verärgert. Eines Tages machte die ganze Familie samt Verlobten einen Ausflug nach betriebseigener Werkssiedlung St. Andrews, die 15 km. westlich vom Bahnhof Charing Cross befand. Die schöne Arbeiterkolonie hat die Besucher fröhlich gestimmt. Und da macht der Waffenhändler dem Barbara’s Verlobten Professor für Altgriechisch Adolphus Cusins ein Angebot, das er nicht abschlagen konnte, nämlich in seine Fußstapfen zu treten. Der Hellenist nahm das Angebot des Prinzen der Finsternis, wie er den zukünftigen Schwiegervater metaphorisch nannte, dankend an. Der Generationenwechsel wurde erfolgreich vollzogen. Barbara begab sich gleich auf der Suche nach einem Eigenheim und ist voller Hoffnung, ihre Seelenrettung in der Arbeiterkolonie fortzusetzen. Die Familiengeschichte hat happyendet.
„Die Geschichte wiederholt sich immer zweimal – das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce“, meinte Shaw’s Zeitgenosse, bekannter Philosoph und Gesellschaftstheoretiker. Unsere Geschichte erweitert sich auf mehrere Geschichten: über die beiden Barbaras, ihre Väter, Bernard Shaw und Fakes News. Vor hundert Jahren wurde Shaw wegen persönlicher Ambivalenz attackiert, heute wegen besonderer Aktualität seiner Theaterstücke.
Majorin Barbara auf der Bühne und Bildschirm
- 11.1905 fand eine Weltpremiere im Royal Court Theater in London in der Regie von John Eugene Vedrenne und Harley Granville-Barker mit Annie Ellen Russell und Louis James Calvert in den Hauptrollen statt.
- 03.1909 war die erste Aufführung in den deutschsprachigen Raum, und zwar im Deutschen Volkstheater in Wien.
- 11.1909 zeigte das Stück die Kammerspiele am Deutschen Theater in Berlin in der Regie von Felix Holländer, der als Regisseur bei Max Reinhardt, dem Gründer der Salzburger Festspiele, wirkte. In den Hauptrollen spielten Lucie Höflich, Paul Wegener und Alfred Peter Abel. Das Stück lief 28 Mal.
Über diese Übersetzung
Um zu verdeutlichen, dass englische Personennamen im Genitiv stehen, bekamen den Apostroph nicht nur Eigennamen, deren Nominativform auf einen s-Laut wie z. B. Lomax’ endet (geschrieben: -s, -ss, -ß, -tz, -z, -x, -ce), sondern auch wurde der Apostroph vor der Genitiv-Singular-Endung anderer Vor- und Nachnamen (Barbara’s bzw. Shaw’s) gesetzt.
Candida (Candida)
Das sentimentale Lustspiel über das Mysterium der Liebe Candida handelt von einer Dreiecksbeziehung zwischen dem starken, männlichen, viel bewunderten 40-jährigen Pfarrer Jakob Morell, seiner aufrichtigen, hübschen 33-jährigen bürgerlichen Ehefrau Candida – die vermutlich sehr bald matronenhaft wird, sich aber noch im besten Licht zeigt – und deren schmächtigen, einsamen, feinsinnigen, nach Liebe suchenden, poetisch begabten 18-jährigen adeligen Verehrer Eugene Marchbanks. Der unwiderstehliche Morell, der Kirchenbesucher und ganze Versammlungen in Ekstase bringt, gerät ins Wanken, als Marchbanks ihn mit Vorwürfen über Ausbeutung seines Subjektes der Verehrung – Candida – bei der Haushaltsführung konfrontiert: während der Ehemann predigte, müßte seine Ehefrau putzen. Auch Morell‘s nette Sekretärin Proserpine (vielleicht die einzige authentische Figur im Stück), bei der er es vermag, dass sie sich in ihn verliebt, fällt seiner Selbstverherrlichung zum Opfer. Morell versucht, einen Lehrer vorzuspielen, aber Eugene will nicht in seine Schule gehen. Nach einer heftigen Auseinandersetzung muss Candida, die Eugene‘s Ehrerbietung nicht abgeneigt ist, zwischen dem Pfarrer und dem Dichter wählen: Morell bricht komödiantisch zusammen, Marchbanks behält die Nerven. Da Candida einzusehen imstande ist, dass jüngerer Marchbanks dem zweimal älteren Morell charakterlich schon jetzt weit überlegen ist – mit einer Tendenz zur Steigerung, entscheidet sie sich für den charakterlich schwächeren Ehemann Morell („bis dass der Tod uns im Pfarrhaus scheidet“). Der Altersunterschied zwischen Candida und Eugene spielt dabei auch eine gewisse Rolle. Eugene Marchbanks überlebt unbeschadet die Lehre und ist für Größeres als privates Glück bereit.
Charaktereigenschaften der Protagonistin und Hauptfiguren definierend schrieb der Dramatiker in seinem Brief vom 7. Januar 1903 (veröffentlicht zum ersten Mal 1986) an seinen ersten deutschen Übersetzer Siegfried Trebitsch (22.12.1868 – 3.06.1956) das Folgende: „Ihr dummer Fehler ist es, Morell von Eugene als heftig und unmännlich schmähen zu lassen. Das macht ihn sofort zu einem echten Naseweis. Nun aber – der springende Punkt dieses Stückes ist die Darstellung und die Offenbarung der Schwäche dieses starken und männlichen Mannes und die schreckliche Stärke des fieberhaften und unmännlichen Gegenübers. Morell spielt immer nachdrücklich die Rolle eines starken und männlichen Mannes. Eugene spielt überhaupt nicht. Morell glaubt, dass er stark und männlich sein muss, um sich Candida‘s Respekt zu verschaffen – und außerdem ist er stark und männlich und Candida‘s Respekt würdig. Eugene bestreitet es nie, würdigt es nie herab, setzt dies nie herab – aber er wirft dagegen seine Schwäche, seinen „Horror“, seine Einsamkeit, seine Herzensnot in die Waagschale. Morell kann nicht verstehen, warum Eugene mit solcher Entschiedenheit sagt, dass er Candida erzählen wird, wie stark und männlich Morell ist und wie schwach und hilflos er selbst ist.
Und Sie – unglücklicher Siegfried – haben es ebenfalls nicht verstanden. Sie dachten, dass es ein Druckfehler war. Das nenne ich dumm. Sie haben das Stück nicht verstanden: Sie haben nur darin geschwelgt. Tatsache ist, dass Sie immer noch Liebe und Glück wollen – wie Eugene dachte, dass er auch es will, bis Candida‘s ruhige Beschreibung ihres glücklichen Zuhauses ihm die Tatsache eröffnete, dass „das Leben reizvoller ist, als das“. Wenn Sie mich jetzt übersetzen wollen, müssen Sie dieses bürgerliche Verlangen nach Glück und Liebe und den Rest von den biedermännischen Tröstungen der Leute aufgeben, die weltweit Routinearbeit verrichten. Wie Napoleon in „The Man of Destiny“ müssen Sie sagen lernen: „Bin ich, was ich bin, wenn ich mir um das Glück Sorgen mache?“ Wie Dick Dudgeon müssen Sie in der Lage sein, sich im Pfarrhaus umzusehen und erkennen, dass es schön ist – „fast heilig“ – und dennoch wissen, dass Sie selbst etwas Größeres als häusliche Freuden in der Hand haben. Sie können nie etwas dramatisieren, bis Sie darüber hinwegkommen… In Candida ist Morell Candida‘s „Junge“ – ihr Jakob. Obwohl sie mit Eugene‘s Jugend und Unreife Mitleid hat, ist er nie ihr Junge. Sie weiß, dass er über Morell und sie hinaus ist und aus ihnen herauswachsen wird (wir sprechen hier von einem Jungen, der aus seiner Kleidung „herausgewachsen“ ist, wenn er für sie zu groß wird) – und die Beziehung, die zwischen ihnen wächst, ist die Beziehung zwischen zwei klugen Menschen, die bestimmte Dinge verstehen, die andere Ihnen viel Liebere nicht verstehen. Sie sind ein kluger Mann und werden häufig verheiratete Frauen treffen, die klüger als ihre Ehemänner sind – und Sie werden in der Lage sein, sich mit ihnen derart zu unterhalten, wie Sie sich so mit ihren Ehemännern nicht unterhalten können. Aber mutmaßen Sie niemals oder ermutigen Sie diese nicht zu mutmaßen, dass deren Frauen Sie mehr lieben“.
Im englischsprachigen Raum wurde das Stück mehrfach mit großem Erfolg verfilmt und auf der Bühne gefeiert.
Wie er ihren Ehemann belogen hat (How He Lied to Her Husband)
Bernard Shaw hat in diesem Theaterstück gezeigt, „was mit dem auch banalsten Bühnenrahmen getan werden kann, indem man ihn mit einem beobachteten Hauch echter Menschlichkeit anstelle von doktrinärer Romantik ausfüllt. Nichts im Theater ist abgedroschener als Dreiecksgeschichten (die Situation von Ehemann, Ehefrau und Liebhaber) oder der Spaß an der Knockabout (Ramponierungs) – Farce. Ich habe beides genommen und ein originelles Stück daraus gemacht, wie jeder andere es auch tun kann, wenn er nur nach seinem eigenen Stoff Ausschau hält, anstatt Othello und die tausend Stücke zu plagiieren, die zu Othellos romantischen Annahmen und falscher Ehrensache geführt haben.“
Eine gewöhnliche, verhätschelte, mit Diamanten und schicken Klamotten ausgestattete 37-jährige Bürgerliche aus South Kensington hat ihren Spaß daran, dass prominente Männer sich in sie verlieben. Ihr stiernackiger, von seiner geschäftlichen Umgebung eingebildeter Ehemann fördert sie dabei und ist auf ihren Siegeszug durch Londoner Vorstädte sehr stolz. Auch ein wunderschöner 18-jähriger Träumer, Dichter und Amateurboxer verirrt sich an ihr und fällt ihr zum Opfer, obwohl er aus der Bibel zitiert und der Frau physisch und spirituell überlegen ist. Der Verlust seiner Gedichte an die Geliebte führt zu einer Zuspitzung des alltäglichen Ablaufs. Der Jüngling ist vom Teufel geritten und ist bereit sein Glück durchzuboxen, falls der Ehemann im Wege steht. Aber die Frau will sich nicht wegen einer vorgetäuschten Liebe von ihrem Ehemann trennen und zwingt den Dichter dazu, seine Autorschaft dem Ehemann gegenüber zu bestreiten. Darüber ist der Ehemann erbost, denn der Dichter muss sich – wie die anderen aus bester Gesellschaft – geschlagen geben und unbedingt gestehen, dass er sich bis über beide Ohren in seine Ehefrau verliebt ist. Da der Jüngling der Geliebten versprochen hat, sich artig zu benehmen und einen Ehrenmann zu spielen, weigert er sich, das Geständnis abzulegen. Es kommt zu einem Kampf. Die Nerven liegen blank. Obwohl es ihm schwerfällt, den Verlust seines idealisierten Liebessubjektes zu verkraften, machen eine Beule am Kopf und enttäuschte Liebe den Dichter sehend: Er vollzieht den Übergang von der romantischen Jugend zur zynischen Reife und wird vom Jungen zum Mann. Er gesteht dem Ehemann sowohl die Autorschaft als auch die früheren Gefühle und Absichten hinsichtlich seiner Ehefrau. Darüber freut sich der Ehemann wie ein Kind, weil noch ein Sieg auf das Konto seiner Ehefrau geht. Er schlägt vor, die Gedichte drucken zu lassen, um sie herumzuzeigen.
Die Millionärin (The Millionairess)
Dieses Theaterstück hat eine erfolgreiche Vorgeschichte auf der Theaterbühne und auf dem Bildschirm im englischsprachigen Raum. Unter zahlreichen Bühnenfassungen und einigen Filmfassungen sind zwei am bekanntesten. Die Liebeskomödie The Millionairess mit Sophia Loren und Peter Sellers in den Hauptrollen aus dem Jahr 1960 entspricht dem Originaltext von Bernard Show nur ansatzweise und könnte irreführend als eine Quelle dienen. The Millionairess von BBC besetzt mit der zweifachen Oscar-Preisträgerin Maggie Smith, Thomas Stewart Baker in den Hauptrollen, sowie James Villiers ( S. James Bond 007: For Your Eyes Only), Charles Gray ( S. James Bond 007: You Only Live Twice, Diamonds Are Forever, The Spy Who Loved Me), Peter Barkworth, Priscilla Morgan, Avril Angers, John Garrie, Donald Pickering war eine gelungene künstlerische Darbietung und dementsprechend „Play of the month“ ( September 1972).
Das vielschichtige dynamische Stück ist eine Liebesgeschichte einer Millionärin zu ihrem Ehemann, einem Boxer, Tennisspieler und Ruderer, sowie zu seinem Nachfolger, einem Essensliebhaber und einem ägyptischen Arzt islamischen Glaubens, der Flüchtlingen und mittellosen Patienten auf dem Lande behandelt. Zwischen der Millionärin, die auf der Suche nach einer wahren Liebe mehrere Stationen durchläuft, und dem Arzt entwickelt sich eine Liebesstory, die der späteren Lovestory zwischen Prinzessin Diana und Al Faed (sein Großvater war auch Arzt) in gewisser Weise ähnelt.
Da das Stück von Bernard Shaw einerseits zeitlich unveränderte Verhaltensmuster bei Menschen, andererseits typische Ereignisse damaliger Zeit beschreibt, weist es einige Parallelen zu Theaterstücken von Anton Tschechow auf. Wenn aber ein fast Duell zwischen einer Frau und einem Mann in Der Bär mit einem Heiratsantrag endet, setzt eine heftige, humorvolle, aus dem Ruder gelaufene Auseinandersetzung zwischen der Millionärin und ihren Männern der Liebesbeziehungen samt gesundheitlichen und finanziellen Schäden für die Männer immer wieder ein Ende. Wurde eine wirtschaftlich unfähige Gutsbesitzerin durch einen zu Vermögen gekommenen ehemaligen Leibeigenen der Familie in Der Kirschgarten ersetzt, übernimmt die Millionärin, eine Vertreterin des Geldadels dank ihrem smarten Management einen uneffektiven Familienbetrieb und ein aus der Zeit gelaufenes Hotel.
Eine Reihe von Charakteren fesselt die Zuschauer, u.a. Rechtsanwälte, Banker, Ärzte, Erfinder, Opernsänger, Theaterdarsteller und sogar ein englischer Premierminister. Mit englischem Humor und einem für Bernard Shaw typischen Scharfsinn und der Vorliebe für Details macht uns der Autor mit Institutionen wie Gericht, Bank, Großkonzern, Krankenhäuser; Religionen wie Islam und Christentum, und auf persönlicher Ebene Vater-Tochter und Mutter-Sohn Liebe bzw. Fixierungen, glücklichen und unglücklichen Ehen vertraulich.
Das Stück erfüllt alle Voraussetzungen, um zu einem Publikumserfolg aufzusteigen.
Weh euch, ihr bunten Heuchler, die ihr der Witwen Häuser fresset (Widower’s Houses)
Bernard Shaw schrieb in seinem Brief vom 17. November 1905 (veröffentlicht zum ersten Mal 1986) an seinen ersten deutschen Übersetzer Siegfried Trebitsch (22.12.1868 – 3.06.1956) buchstäblich das Folgende: „ Your religious education has been badly neglected. Get a Bible and look at Ev. Matthae XXIII, 14. “Weh euch, die Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr der Witwen Hauser presset…” The play should be called „Witwen Hauser” or „ Weh euch, ihr Heuchler”, or something else out of the Bible”.
In einem Aufsatz „Hauptsächlich über mich“ schrieb der Dramatiker über das Theaterstück 1898 folgendes: „Ich übergab es [das Theaterstück] Herrn Grein, der es mit allen seinen originellen Schwabenstreichen und Albernheit dem Publikum ad absurdum im Royalty Theatre präsentierte. [Um die Zensur des Lord Chamberlain Office zu entgehen, wurde das Bühnenstück am 9. Dezember 1892 von der unabhängigen Theatergesellschaft im Royalty Theatre uraufgeführt. Jacob Grein, ein britischer Impresario und Dramatiker, war der Gründer der unabhängigen Theatergesellschaft] Es sorgte für eine Sensation, die in keinem Verhältnis zu den Stärken oder gar den Schwächen des Stückes stand, und ich wurde sofort berühmt-berüchtigt als Dramatiker. Die erste Aufführung war sehr aufregend: Die Sozialisten und Mitglieder der unabhängigen Theatergesellschaft applaudierten wild aus Prinzip. Die gewöhnlichen Premierenbesucher pfiffen mich aus dem gleichen Grund rasend aus. Ich, der zu dieser Zeit in Übung war, was unhöflich Volksredner genannt wurde, hielt eine Ansprache vor dem Vorhang. Über das Stück diskutierte man fast zwei Wochen lang in den Zeitungen, und zwar nicht nur in den üblichen theatralischen Mitteilungen und Kritiken, sondern auch in Leitartikeln und Leserbriefen. Schließlich wurde der Text des Stückes veröffentlicht… Der Band, der die Nummer Eins einer Reihe (jetzt nicht mehr existierend) von Theaterstücken, herausgegeben von der unabhängigen Theatergesellschaft, bildet, ist ein merkwürdiges Relikt dieses neun Tage dauernden Wunders. Und da dieser Band einen Originaltext des Bühnenstückes mit allen seinen albernen Bemerkungen enthält, kann ich ihn den Sammlern von Quartbändern des Hamlets empfehlen…Ich habe einen Aufruhr provoziert, und das Gefühl war so angenehm, dass ich beschloss, es erneut zu versuchen“.
Ohne immer wiederholende Schlagzeilen über steigende Mieten, Luxus-Sanierung und Gentrifizierung sind aktuelle Nachrichten von heute nicht mehr zu denken. Da die meisten Zuschauer und Leser in Deutschland statistisch gesehen Mieter sind, gewinnt dieses Werk von Bernard Shaw (geschrieben 1885-1892) eine besondere Aktualität und gesellschaftliche Brisanz. Denn bis jetzt hat sich offensichtlich nicht viel geändert: Probleme sind die gleichen geblieben und die Lösungen fehlen oft.
Ein reicher, skrupelloser Besitzer heruntergekommener Wohnhäuser häuft Schrottimmobilien an, um sie an die armen Menschen zu vermieten. Die Mieten lässt er mit Hilfe seines schäbigen Gehilfen kassieren und – wenn nötig – auch auspressen. Auch der Großadel scheut sich nicht davor, mit Immobiliengeschäften Reichtum zu erlangen. Um auf einem Fuß mit den ganz Großen zu gelangen, lässt ein Slums-Vermieter seine Tochter in die beste Gesellschaft einheiraten. Zuerst wehrt sich aber der Schwiegersohn, ein junger romantischer Adelsspross und frischgebackener Arzt, die Mitgift aus derartigen Quellen einzunehmen und lässt die Hochzeit platzen. Im Laufe der Handlungen unterliegt er der Versuchung, sich mit Entschädigung für gleich nach der Sanierung abgerissene Mietshäuser zu bereichern. Damit gewinnt er seine Ex-Verlobte zurück. Am Ende ist der jüngst vom Immobilienhai gefeuerte Gehilfe wieder dabei und feiert sein fulminantes Comeback als Neureicher auf der Bühne. Alle handelnden Personen scheinen mit sich selbst sehr zufrieden zu sein.
Bei einer Theaterinszenierung bietet das Stück viel Raum für sowohl zeitgenössische als auch klassisch-englische Interpretation.
Der Bär
Im Kassenschlager Der Bär geht es um das Geld und die Liebe. Die schöne verwitwete Gutsbesitzerin Elena legt immer noch jeden Tag Trauerkleidung an und geht nicht aus dem Gutshaus. Da sie nach dem Tod ihres Mannes in seinem Schreibtisch eine Schublade voller Liebesbriefe fand, weiß sie wohl Bescheid, dass er sie zu Lebzeiten auf Schritt und Tritt schamlos betrogen und dazu auch viele Schulden hinterlassen hat. Da trampelt der bärenhafte Playboy und Frauenheld Smirnoff, ein hartnäckiger Gläubiger des Verstorbenen in ihr Leben, um den Frieden der Schönheit zu stören. Denn er braucht dringend sein Geld zur Begleichung der Zinsen bei der Bank. Das verursacht Chaos. Die heftige Auseinandersetzung zwischen dem Gläubiger und der Schuldnerin führt zuerst zum Streit und Duell, dann aber zum Kuss und Liebeserklärung.
Tchekhoff und Tschechow
Das Bühnenstück Tchekhoff und Tschechow besteht aus 48 Originalbriefen von Anton Tschechow, die der Übersetzer zusammengestellt hat und in Deutschland nur wenige kennen bzw. einen faszinierenden aktuellen Forschungsstand darstellen. Der berühmte russische Schriftsteller und Dramatiker hat einige seiner Briefe aus dem Ausland mit den Namen Tchekhoff unterschrieben, daher kommt dieser Namen im Stück vor . Zum Beispiel den Brief an seinen Bruder Alexander vom 23. Februar (7. März) 1898 aus Nizza: „L’homme des lettres A.Tchekhoff “ und den Brief an Iordanow Pawel Fjodorowitsch, Taganroger Bürgermeister vom 16. (28.) April 1898 aus Paris: „meine Adresse: hôtel de Dijon, rue Caumartin Paris. Für Telegrammen: Paris hôtel Dijon Tchekhoff“. Die Briefe aus Badenweiler im Jahr 1904 hat der Dramatiker allerdings mit Tschechow unterschrieben. Das deutet darauf, dass er verschiedene Reisepässe hatte.
In den Briefen kommt Tschechow, ein Freigeist und scharfsinniger Beobachter seiner Zeit, direkt zu Wort, ohne die Helden seiner Theaterstücke und Erzählungen für sich sprechen zu lassen. Er äußert sich sehr lustig, bissig, manchmal auch traurig, aber immer spannend über Der Bär, über Frauen, Theater, Schauspieler, Literaturkritiker, Journalisten, Schriftsteller (Tolstoi, Puschkin, Sienkiewicz u.a.), Maler, Philosophen (u.a. Nietzsche), Komponisten (u.a. Tschaikowsky), Ärzte, Kunst und Moral, Russland und die Russen, Deutschland und die Deutschen. Dank der Briefe gewinnen Leser und Zuschauer ein lebendiges Bild von dem Menschen Anton Tschechow. Die Zuschauer werden sehen, dass Anton Tschechow kein Dichter der Schwermut, der Schwäche und Hoffnungslosigkeit ist, sondern ein Arzt, der seine Diagnose der Gesellschaft als Dichtung schreibt.
Das tragikomische Bühnenstück Der Bär und das Bühnenstück Tchekhoff und Tschechow kann man als Taschenbuch sowie Kindle Edition und eBook bei Amazon, Hugendubel und anderen Buchhandlungen bestellen.