Candida (Candida) von Bernard Shaw

Candida (Candida)

Das sentimentale Lustspiel über das Mysterium der Liebe Candida handelt von einer Dreiecksbeziehung zwischen dem starken, männlichen, viel bewunderten 40-jährigen Pfarrer Jakob Morell, seiner aufrichtigen, hübschen 33-jährigen bürgerlichen Ehefrau Candida – die vermutlich sehr bald matronenhaft wird, sich aber noch im besten Licht zeigt – und deren schmächtigen, einsamen, feinsinnigen, nach Liebe suchenden, poetisch begabten 18-jährigen adeligen Verehrer Eugene Marchbanks.

Der unwiderstehliche Morell, der Kirchenbesucher und ganze Versammlungen in Ekstase bringt, gerät ins Wanken, als Marchbanks ihn mit Vorwürfen über Ausbeutung seines Subjektes der Verehrung – Candida – bei der Haushaltsführung konfrontiert: während der Ehemann predigte, müßte seine Ehefrau putzen. Auch Morell‘s nette Sekretärin Proserpine (vielleicht die einzige authentische Figur im Stück), bei der er es vermag, dass sie  sich in ihn verliebt, fällt seiner Selbstverherrlichung zum Opfer. Morell versucht, einen Lehrer vorzuspielen, aber Eugene will nicht in seine Schule gehen. Nach einer heftigen Auseinandersetzung muss Candida, die Eugene‘s Ehrerbietung nicht abgeneigt ist, zwischen dem Pfarrer und dem Dichter wählen: Morell bricht komödiantisch zusammen, Marchbanks behält die Nerven. Da Candida einzusehen imstande ist, dass jüngerer Marchbanks dem zweimal älteren Morell charakterlich schon jetzt weit überlegen ist – mit einer Tendenz zur Steigerung, entscheidet sie sich für den charakterlich schwächeren Ehemann Morell („bis dass der Tod uns im Pfarrhaus scheidet“). Der Altersunterschied zwischen Candida und Eugene spielt dabei auch eine gewisse Rolle. Eugene Marchbanks überlebt unbeschadet die Lehre und ist für Größeres als privates Glück bereit.

Bernard Shaw über die Hauptfiguren des Theaterstücks

Charaktereigenschaften der Protagonistin und Hauptfiguren definierend schrieb der Dramatiker in seinem Brief vom 7. Januar 1903 (veröffentlicht zum ersten Mal 1986) an seinen ersten deutschen Übersetzer Siegfried Trebitsch (22.12.1868 – 3.06.1956) das Folgende: „Ihr dummer Fehler ist es, Morell von Eugene als heftig und unmännlich schmähen zu lassen. Das macht ihn sofort zu einem echten Naseweis. Nun aber – der springende Punkt dieses Stückes ist die Darstellung und die Offenbarung der Schwäche dieses starken und männlichen Mannes und die schreckliche Stärke des fieberhaften und unmännlichen Gegenübers. Morell spielt immer nachdrücklich die Rolle eines starken und männlichen Mannes. Eugene spielt überhaupt nicht. Morell glaubt, dass er stark und männlich sein muss, um sich Candida‘s Respekt zu verschaffen – und außerdem ist er stark und männlich und Candida‘s Respekt würdig. Eugene bestreitet es nie, würdigt es nie herab, setzt dies nie herab – aber er wirft dagegen seine Schwäche, seinen „Horror“, seine Einsamkeit, seine Herzensnot in die Waagschale.  Morell kann nicht verstehen, warum Eugene mit solcher Entschiedenheit sagt, dass er Candida erzählen wird, wie stark und männlich Morell ist und wie schwach und hilflos er selbst ist.

Und Sie – unglücklicher Siegfried – haben es ebenfalls nicht verstanden. Sie dachten, dass es ein Druckfehler war. Das nenne ich dumm. Sie haben das Stück nicht verstanden: Sie haben nur darin geschwelgt. Tatsache ist, dass Sie immer noch Liebe und Glück wollen – wie Eugene dachte, dass er auch es will, bis Candida‘s ruhige Beschreibung ihres glücklichen Zuhauses ihm die Tatsache eröffnete, dass „das Leben reizvoller ist, als das“. Wenn Sie mich jetzt übersetzen wollen, müssen Sie dieses bürgerliche Verlangen nach Glück und Liebe und den Rest von den biedermännischen Tröstungen der Leute aufgeben, die weltweit Routinearbeit verrichten. Wie Napoleon in „The Man of Destiny“ müssen Sie sagen lernen: „Bin ich, was ich bin, wenn ich mir um das Glück Sorgen mache?“ Wie Dick Dudgeon müssen Sie in der Lage sein, sich im Pfarrhaus umzusehen und erkennen, dass es schön ist – „fast heilig“ – und dennoch wissen, dass Sie selbst etwas Größeres als häusliche Freuden in der Hand haben. Sie können nie etwas dramatisieren, bis Sie darüber hinwegkommen…

In Candida ist Morell Candida‘s „Junge“ – ihr Jakob. Obwohl sie mit Eugene‘s Jugend und Unreife Mitleid hat, ist er nie ihr Junge. Sie weiß, dass er über Morell und sie hinaus ist und aus ihnen herauswachsen wird (wir sprechen hier von einem Jungen, der aus seiner Kleidung „herausgewachsen“ ist, wenn er für sie zu groß wird) – und die Beziehung, die  zwischen  ihnen wächst, ist die Beziehung zwischen zwei klugen Menschen, die bestimmte Dinge verstehen, die andere Ihnen viel Liebere nicht verstehen. Sie sind ein kluger Mann und werden häufig verheiratete Frauen treffen, die klüger als ihre Ehemänner sind – und  Sie  werden  in  der  Lage sein, sich mit ihnen derart zu unterhalten, wie Sie sich so mit ihren Ehemännern nicht unterhalten können. Aber mutmaßen Sie niemals oder ermutigen Sie diese nicht zu mutmaßen, dass deren Frauen Sie mehr lieben“.

Im englischsprachigen Raum wurde das Stück mehrfach mit großem Erfolg verfilmt und auf der Bühne gefeiert.