Weh euch, ihr bunten Heuchler, die ihr der Witwen Häuser fresset (Widower’s Houses) von Bernard Shaw

Weh euch, ihr bunten Heuchler, die ihr der Witwen Häuser fresset (Widower’s Houses)

Bernard Shaw schrieb in seinem Brief vom 17. November 1905 (veröffentlicht zum ersten Mal 1986) an seinen ersten deutschen Übersetzer Siegfried Trebitsch (22.12.1868 – 3.06.1956) buchstäblich das Folgende: „ Your religious education has been badly neglected. Get a Bible and look at Ev. Matthae XXIII, 14. “Weh euch, die Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr der Witwen Hauser presset…” The play should be called „Witwen Hauser” or „ Weh euch, ihr Heuchler”, or something else out of the Bible”.

In einem Aufsatz „Hauptsächlich über mich“ schrieb der Dramatiker über das Theaterstück 1898 folgendes: „Ich übergab es [das Theaterstück] Herrn Grein, der es mit allen seinen originellen Schwabenstreichen und Albernheit dem Publikum ad absurdum im Royalty Theatre präsentierte. [Um die Zensur des Lord Chamberlain Office zu entgehen, wurde das Bühnenstück am 9. Dezember 1892 von der unabhängigen Theatergesellschaft im Royalty Theatre uraufgeführt. Jacob Grein, ein britischer Impresario und Dramatiker, war der Gründer der unabhängigen Theatergesellschaft] Es sorgte für eine Sensation, die in keinem Verhältnis zu den Stärken oder gar den Schwächen des Stückes stand, und ich wurde sofort berühmt-berüchtigt als Dramatiker. Die erste Aufführung war sehr aufregend: Die Sozialisten und Mitglieder der unabhängigen Theatergesellschaft applaudierten wild aus Prinzip. Die gewöhnlichen Premierenbesucher pfiffen mich aus dem gleichen Grund rasend aus. Ich, der zu dieser Zeit in Übung war, was unhöflich Volksredner genannt wurde, hielt eine Ansprache vor dem Vorhang. Über das Stück diskutierte man fast zwei Wochen lang in den Zeitungen, und zwar nicht nur in den üblichen theatralischen Mitteilungen und Kritiken, sondern auch in Leitartikeln und Leserbriefen. Schließlich wurde der Text des Stückes veröffentlicht… Der Band, der die Nummer Eins einer Reihe (jetzt nicht mehr existierend) von Theaterstücken, herausgegeben von der unabhängigen Theatergesellschaft, bildet, ist ein merkwürdiges Relikt dieses neun Tage dauernden Wunders. Und da dieser Band einen Originaltext des Bühnenstückes mit allen seinen albernen Bemerkungen enthält, kann ich ihn den Sammlern von Quartbänden des Hamlets empfehlen…Ich habe einen Aufruhr provoziert, und das Gefühl war so angenehm, dass ich beschloss, es erneut zu versuchen“.

 Ohne immer wiederholende Schlagzeilen über steigende Mieten, Luxus-Sanierung und Gentrifizierung sind aktuelle Nachrichten von heute nicht mehr zu denken.  Da die meisten Zuschauer und Leser in Deutschland statistisch gesehen Mieter sind, gewinnt dieses Werk von Bernard Shaw (geschrieben 1885-1892) eine besondere Aktualität und gesellschaftliche Brisanz. Denn bis jetzt hat sich offensichtlich nicht viel geändert: Probleme sind die gleichen geblieben und die Lösungen fehlen oft.

Ein reicher, skrupelloser Besitzer heruntergekommener Wohnhäuser häuft Schrottimmobilien an, um sie an die armen Menschen zu vermieten. Die Mieten lässt er mit Hilfe seines schäbigen Gehilfen kassieren und – wenn nötig – auch auspressen. Auch der Großadel scheut sich nicht davor, mit Immobiliengeschäften Reichtum zu erlangen. Um auf einem Fuß mit den ganz Großen zu gelangen, lässt ein Slums-Vermieter seine Tochter in die beste Gesellschaft einheiraten. Zuerst wehrt sich aber der Schwiegersohn, ein junger romantischer Adelsspross und frischgebackener Arzt, die Mitgift aus derartigen Quellen einzunehmen und lässt die Hochzeit platzen. Im Laufe der Handlungen unterliegt er der Versuchung, sich mit Entschädigung für gleich nach der Sanierung abgerissene Mietshäuser zu bereichern. Damit gewinnt er seine Ex-Verlobte zurück. Am Ende ist der jüngst vom Immobilienhai gefeuerte Gehilfe wieder dabei und feiert sein fulminantes Comeback als Neureicher auf der Bühne. Alle handelnden Personen scheinen mit sich selbst sehr zufrieden zu sein.

Bei einer Theaterinszenierung bietet das Stück viel Raum für sowohl zeitgenössische als auch klassisch-englische Interpretation.